Aktuelles zur Wiederaufnahme
News – 10.01.2022
Der Verwaltungsgerichtshof (VwGH) hat mit Erkenntnis vom 13. Oktober 2021, Ra 2021/13/0127, seine ständige Rechtsprechungslinie fortgeführt, wonach für das Neuhervorkommen von Tatsachen oder Beweismitteln auf den Wissenstand der zuständigen Stelle (Veranlagungsabteilung) im Zeitpunkt der Bescheiderlassung abzustellen ist. Dem steht nicht entgegen, dass ein Prüfer oder eine unzuständige Stelle derselben Abgabenbehörde (zB Info-Center) die Tatsachen bereits bekannt waren und diese der zuständigen Stelle nicht mitgeteilt wurden.
Ausgangslage
Die Wiederaufnahme des Verfahrens stellt für die Abgabenbehörde ein effektives Instrument zur Abänderung rechtskräftiger Abgabenbescheide (zB Einkommen- oder Körperschaftsteuerbescheide) dar und führt in der Praxis für Steuerpflichtige (kurz Stpfl) in der Regel zu Abgabennachzahlungen. Grundvoraussetzung für eine Wiederaufnahme ist ua, dass für die Abgabenbehörde im abgeschlossenen Verfahren Tatsachen oder Beweismitteln „neu hervorkommen“ (§ 303 Abs 1 lit b BAO). Werden die Tatsachen oder Beweismittel der Abgabenbehörde noch vor Bescheiderlassung offengelegt und sind diese der Abgabenbehörde im Zeitpunkt der Bescheiderlassung bereits bekannt, sind sie nicht „neu hervorgekommen“ und ist die Verfügung einer Wiederaufnahme rechtswidrig.
Da nur das bei der Abgabenbehörde beschäftigte Personal – nicht aber die Abgabenbehörde selbst mangels eigenständigen Bewusstseins – etwas „wissen“ kann, ist fraglich, welchen bzw wessen Wissensstand sich die Abgabenbehörde zurechnen lassen muss. Diese Frage ist ua dann von Bedeutung, wenn durch zielgerichtete Offenlegungen eine spätere Wiederaufnahmemöglichkeit der Abgabenbehörde eingeschränkt bzw ausgeschlossen werden soll.
In einer aktuellen Entscheidung hat sich der VwGH mit der Frage des maßgeblichen Wissenstands auseinandergesetzt und seine diesbezügliche Rechtsprechungslinie fortgeführt.
Zum Sachverhalt
Ein Stpfl erklärte mehrere Jahre hindurch außerbetriebliche Einkünfte aus der kurzfristigen Vermietung einer Eigentumswohnung. Im Jahr 2012 konvertierte der Stpfl einen Fremdwährungskredit von Schweizer Franken in Euro, der zur Anschaffung der Eigentumswohnung aufgenommen wurde, und erklärte die – aufgrund des entstandenen Konvertierungsverlusts nunmehr negativen – Vermietungseinkünfte im Rahmen der Einkommensteuer(ESt)-Erklärung 2012 als Einkünfte aus Gewerbebetrieb (wohl auch vor dem Hintergrund der im betrieblichen Bereich bestehende Verlustvortragsmöglichkeit). Als Betriebsstandort wurde eine Adresse in Hollabrunn angeführt.
Am 29. Jänner 2014 brachte der Stpfl seine ESt-Erklärung 2012 elektronisch ein und übermittelte postalisch ein Offenlegungsschreiben bezüglich der Fremdwährungsverluste an das Finanzamt Hollabrunn, Korneuburg, Tulln (kurz FA HKT), Standort Korneuburg. Am 31. Jänner 2014 wurde die ESt 2012 durch die zuständige Veranlagungsabteilung des FA HKT, Standort Hollabrunn, veranlagt. Drei Tage später, am 3. Februar 2014, erhielt der Standort Hollabrunn das vom Standort Korneuburg postalisch weitergeleitete Offenlegungsschreiben.
Nach Durchführung einer Außenprüfung verfügte das Finanzamt die Wiederaufnahme der ESt 2012 und erkannte die Konvertierungsverluste nicht an. Begründend wurde ausgeführt, dass das Offenlegungsschreiben der zuständigen Veranlagungsabteilung des FA HKT, Standort Hollabrunn, im Zeitpunkt der Bescheiderlassung am 31. Jänner 2014 nicht vorlag (sondern erst drei Tage später am 3. Februar 2014). Folglich sind die Umstände, dass die geltend gemachten Einkünfte aus Gewerbebetrieb aus der unveränderten Vermietungstätigkeit resultieren und in den Aufwendungen Fremdwährungsverluste enthalten waren, als neue Tatsachen zu werten.
Gegen den Wiederaufnahmebescheid und den Sachbescheid brachte der Stpfl das Rechtsmittel der Beschwerde ein, die vom Bundesfinanzgericht (BFG) abgewiesen wurde. Gegen die abweisende BFG-Entscheidung brachte der Stpfl außerordentliche Revision beim VwGH ein.
Entscheidung des VwGH
Der VwGH hat die Revision zurückgewiesen und die vom Finanzamt verfügte Wiederaufnahme für zulässig erachtet.
Begründend führt der VwGH unter Verweis auf seine bisherige Rechtsprechung aus, dass es in Bezug auf das Neuhervorkommen von Tatsachen oder Beweismitteln auf den Wissenstand des jeweiligen Veranlagungsjahres und der zuständigen Stelle (Veranlagungsabteilung) ankommt. Einer Wiederaufnahme steht demnach nicht entgegen, wenn etwa ein Prüfer den relevanten Sachverhalt der zuständigen Stelle vor Bescheiderlassung nicht mitteilt.
Da die zuständige Veranlagungsabteilung des FA HKT am Standort Hollabrun im revisionsgegenständlichen Fall die konkreten Umstände im Zeitpunkt der Bescheiderlassung am 31. Jänner 2014 nicht bekannt waren, handelt es sich um neu hervorgekommene Tatsachen. Dies obwohl eine (unzuständige) Abteilung des FA HKT am Standort Korneuburg von diesen Umständen bereits davor Kenntnis hatte.
Laut VwGH ist somit stets auf den Wissensstand der im konkreten Einzelfall zuständigen Organisationseinheit, wie zB die Veranlagungsabteilung, abzustellen und nicht auf die Abgabenbehörde als Gesamtorganisation.
Auswirkungen auf die Praxis
Die Entscheidung des VwGH belegt anschaulich, dass die Wiederaufnahmemöglichkeit der Abgabenbehörde nur dann eingeschränkt bzw ausgeschlossen werden kann, wenn der entscheidungserhebliche Sachverhalt des jeweiligen Veranlagungsjahres der zuständigen Organisationseinheit noch vor Bescheiderlassung offengelegt wird.
Durch die Neuorganisation, Dezentralisierung und Modernisierung der Abgabenbehörden gewinnt die VwGH-Rechtsprechung an praktischer Bedeutung, da seit 1. Jänner 2021 nur mehr zwei Finanzämter, das Finanzamt Österreich mit seinen 33 Dienststellen und das Finanzamt für Großbetriebe, bestehen. Durch die Abschaffung der örtlichen Zuständigkeit können Stpfl Anbringen nunmehr zB an jedem Standort des Finanzamt Österreich einbringen und erfolgen. Beim Finanzamt für Großbetriebe gibt es a priori keine aktenführende Dienststelle mehr. Dort erfolgt die Veranlagung durch dislozierte Teams.
Durch die Dezentralisierung der behördeninternen Prozesse wird es für Stpfl im Rahmen einer Offenlegung aber zunehmend schwieriger – wenn nicht sogar unmöglich – die für die Bescheiderlassung zuständige Stelle im Sinne der VwGH-Rechtsprechung zu identifizieren. Vor diesem Hintergrund birgt die postalische Einreichung einer Offenlegung für das jeweilige Veranlagungsjahr kurz vor Einreichung der diesbezüglichen Steuererklärung bei einem beliebigen Standort des Finanzamt Österreich oder beim Finanzamt für Großbetriebe das Risiko, dass die zuständige Stelle diese nicht rechtzeitig vor Bescheiderlassung erhält (auch aufgrund der langen behördeninternen Postverarbeitungsdauer in der zentralen Scanstraße). Wird eine Offenlegung indes per FinanzOnline eingereicht, sollte eine unmittelbare automationsbasierte Zuordnung zum digitalen Steuerakt des Stpfl und damit zur zuständigen Stelle sichergestellt sein.
Gerne unterstützen wir Sie bei zielgerichteten Offenlegungen und stehen für Fragen zur Verfügung.
Autor:innen
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Gebhard FurherrWirtschaftsprüfer | Steuerberater | Partner | GesellschafterDetails zur Person
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Johannes ReiterSteuerberater | DirectorDetails zur Person